Das Stichwort: Kreuzweg

In unserer katholischen Tradition gibt es verschiedene Gottesdienstformen, z.B. die Eucharistiefeier, die Wort-Gottes-Feier, die Tagzeitenliturgie – und eine Vielzahl von Andachten: Maiandachten, Rosenkranzandachten, Kreuzwegandachten usw. Typisch für eine Andacht ist, dass hier etwas vertieft oder eingeübt wird, oft durch Wiederholung. Die Vertiefung muss nicht nur durch Worte passieren – gerade in einer Andacht können Bilder und Musik eine wichtige Rolle spielen. Die Gestaltung einer Andacht ist viel freier als die anderer Gottesdienste – das heißt aber auch: In eine Arbeit kann man richtig viel Arbeit stecken!

Im späten Mittelalter entstand der Brauch, in mehreren Stationen den Leidensweg Jesu nachzuvollziehen – vor allem für all jene, die keine Chance hatten, einmal nach Jerusalem zu kommen. Die Anzahl der Stationen kann variieren – die ältesten Kreuzwege hatten sieben Stationen. Noch heute hat sich mancherorts die Tradition von den „sieben Fußfällen“ erhalten – das ist nichts anderes als eine alte Variante des Kreuzwegs. Unsere vierzehn Stationen gehen auf das 17. und 18. Jahrhundert zurück. Erst seit dieser Zeit, spätestens seit dem 19. Jahrhundert, gehören Kreuzwegstationen auch zur Inneneinrichtung katholischer Kirchen.

Auch heute müssen es nicht immer vierzehn sein. Manchmal gibt es eine fünfzehnte Station, die zeigt, wie die Kaiserin Helena das Kreuz findet. Oder die Auferstehung oder sonst eine österliche Szene, z.B. die Begegnung der Emmausjünger mit dem Auferstandenen oder Maria von Magdala. Unsere Hoffnung geht ja über das Grab hinaus!

Wer eine Kreuzwegandacht gestaltet und leitet, ist nicht an die vierzehn überlieferten Stationen gebunden. Sie sind eine Komposition aus allen vier Evangelien und außerbiblischen Legenden (z.B. Veronika). Sie stammen aus Jahrhunderten, in denen die direkte Beschäftigung mit der Bibel für Katholikinnen nicht üblich war. Es gibt gute Gründe, einmal den Leidensweg Jesu aus einem Evangelium in den Mittelpunkt zu stellen – z.B. aus dem Evangelium, das im jeweiligen Lesejahr dran ist. Dabei können auch unbekannte Szenen ins Blickfeld kommen – z.B. die namenlose Frau, die Jesus salbt. Bei der Gestaltung einer Andacht sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt!

Zur Entlastung: Der große Theologe Karl Rahner meinte einmal, jede Andacht müsse auch wieder abtreten können. Denn Andachten unterliegen Moden – und das ist gut so. Sie haben etwas mit Stil und Geschmack zu tun. Zu uns heute passen andere Ausdrucksformen als im 19. Jahrhundert – und auch das ist gut so! Es gibt nicht „die“ Patentlösung für die „richtige“ Andacht. Also: Mut und Fantasie mit Andachten!

Hildegard Gosebrink